Von der Gefahr eines geomagnetischen Sturms für die High-Tech Gesellschaft

Unser GFZ-Schwerpunktthema: Weltraumwetter

Der geomagnetische Sturm im Jahr 1859

historisches Fotos eines Hauses in Redhill (England)
(wikimedia commons)

Zunächst das Kurioseste vorab: es stürmte nicht. Aber Mysteriöses geschah an diesem 1. September 1859 und den Folgetagen. Wie von Geisterhand und ohne ersichtlichen Grund kollabierte das für die Versendung von Nachrichten über weite geographische Strecken so wichtige elektromagnetische Telegrafensystem oder funktionierte plötzlich ohne Strom. Erst wenige Jahre zuvor hatte man von händischer Bedienweise auf elektromagnetisch-automatisch umgestellt, es war eine große Errungenschaft. Nun versagten die Telegrafen den Dienst. Sie fielen nahezu zeitgleich auf der gesamten nördlichen Hemisphäre aus. So zog das Ereignis auch große mediale Aufmerksamkeit auf sich. 

Richard Christopher Carrington im englischen Dörfchen Highgate tat an diesem Tag das, was er immer tat: der begabte Wissenschaftler beobachtete die Sonne per Teleskop. An diesem Tag sah er Phänomenales und nie Dagewesenes: da waren auf einmal zwei intensiv leuchtende, weiße Flecken auf der Sonne wahrzunehmen. Er war der erste Mensch, der einen Sonnensturm direkt beobachten konnte.

Gemälde Highgate, John Constable
(Wikiart.org)


"Mein erster Eindruck war, dass zufällig ein Lichtstrahl durch ein Loch im Schirm des Objektglases eingedrungen war, durch das das allgemeine Bild in den Schatten geworfen wird, denn die Helligkeit entsprach voll und ganz der des direkten Sonnenlichts; aber als ich sofort die laufende Beobachtung unterbrach und das Bild durch Drehen des R.A.-Griffs in Bewegung setzte, sah ich, dass ich ein unvorbereiteter Zeuge eines ganz anderen Sache war. [...] Der Eindruck, der sich mir aufdrängte, war, dass das Phänomen in einer Höhe stattfand, die erheblich über der allgemeinen Sonnenoberfläche lag [...]." (Zitat R. C. Carrington)

Polarlichter weit südlich gesichtet

Polarlicht
Polarlicht Symbolbild (Gunnar Hildonen, wikimedia commons)

1859 wurden Polarlichter weit südlich gesichtet. Überliefert sind Berichte aus Rom, Havanna oder auch Hawaii. Sie sind das sichtbarste Merkmal eines geomagnetischen Sturms. Denn während eines geomagnetischen Sturms wird die Polarlichtzone heller und verschiebt sich Richtung Äquator. Diese verstärkte Aurora ist ein Zeichen für die heftigen elektrodynamischen Prozesse, die auf den Energieausbruch der Sonne folgen. Polarlichter entstehen, weil elektrisch geladene Teilchen durch Zusammenstöße Atome und Moleküle in der Erdatmosphäre zum Leuchten anregen. Durch die Verformung der Magnetosphäre bei geomagnetischen Stürmen können Polarlichter dann unter anderem auch in Mitteleuropa zu sehen sein. Zu Zeiten Carringtons, wo die meisten Menschen mechanischer Arbeit nachgingen, hatte ein geomagnetischer Sturm dieser außergewöhnlichen Stärke – mal abgesehen vom Ausfall des Telegrafensystems und davon, dass er Menschen in Angst und Schrecken versetzte – nur wenige praktische Auswirkungen auf ihr Zusammenleben.

Carrington-Ereignis von 1859

Illustration
(ARD)

Glücklicher Zufall 2012: ein Supersturm auf der erdabgewandten Sonnenseite

Sonne
(Adobe Stock 575672578)

Auch am 23. Juli 2012 schleuderte die Sonne eine riesige Wolke elektrisch geladener Teilchen ins All. Als das Plasma die Bahn der Erde kreuzte, war unser Planet auf seiner Umlaufbahn bereits 23 Millionen Kilometer weitergezogen und hatte so die hochenergetische Wolke „verpasst“. 23 Millionen Kilometer hört sich nach viel an, aber es waren nur neun Tage, die uns von einer möglichen Katastrophe trennten.

Gedankenexperiment: Der 1859er magnetische Sturm heute

Bedrohung unserer modernen Technologie

Auswirkungen auf unsere High-Tech Gesellschaft

Feld mit Strommasten
(Adobe Stock)

Historische Daten und geologische Archive zeigen, dass der Durchzug einer Plasmawolke hochenergetischer Teilchen wie Protonen, Elektronen, Atome viel stärker sein kann, als wir es in den letzten Jahrzehnten auf der Erde erlebt haben. Die Frage ist nicht, ob uns irgendwann ein sehr starker magnetischer Sturm trifft. Das wird passieren. Die Frage muss viel eher sein, wie vorbereitet wir dann als Gesellschaft sind. Das hängt von uns ab. Auch ein solches Ausnahmeereignis, welches nur alle 100-200 Jahre auftritt, kann glimpflich ausgehen, wenn intensive gesellschaftliche Vorbereitungen getroffen wurden.

Die zunehmende Abhängigkeit der Gesellschaft von Technologien im Weltraum, aber auch neue Entwicklungen wie das autonome Fahren im Straßenverkehr haben die Aufmerksamkeit in den letzten Jahren verstärkt auf  Weltraumwetter gelenkt. Aktuell befinden sich rund 3000 operative Satelliten im erdnahen Weltraum; bis zum Ende des Jahrzehnts wird erwartet, dass die Anzahl der Satelliten auf über 50.000 steigen wird.

Die schädlichen Auswirkungen von Weltraumwetterprozessen umfassen Strahlung, die Satelliten beschädigen kann, Dichteschwankungen in der Ionosphäre und Plasmasphäre, die das Global Navigation Satellite System (GNSS) bei Positionierung und Navigation stören können, Dichteschwankungen in der Thermosphäre, die die Vorhersage von Satellitenbahnen und die Verfolgung von Weltraummüll unzuverlässig machen, sowie induzierte Ströme, die sich auf Stromnetze auswirken können. Konkrete Auswirkungen können daher sein:

  • Radio Blackout
  • Beeinträchtigung des Höchst- und Hochspannungsnetz
  • Beeinträchtigung der Unterseekabel
  • ungewöhnliche Korrosion von Erdölfernleitungen 
  • Störung von GPS Signalen (Störung globaler Navigationssatellitensysteme)
  • Störung des bodengestützten Funkverkehrs
  • Störung der satellitengestützten Kommunikation, Satellitenausfälle (Verlust der Energieversorgung durch Fehlausrichtung, Verlust der Bordelektronik durch Partikelbeschuss)
  • Fehlfunktionen der Bordelektronik
  • satellitengestützte TV-/Radioübertragungen fallen aus
  • keine Zahlung mit Kreditkarte mehr möglich
  • Handynetze bleiben wahrscheinlich bestehen
  • hochenergetische Teilchen durchdringen die Außenhaut von Raumfahrzeugen und gefährden Astronaut:innen

Wenn urplötzlich und vor allem flächendeckend die Radiokommunikation verloren geht, GPS-Systeme den Dienst versagen, die Kommunikation über Satelliten zusammenbricht und unsere Stromnetze in ihrer Totalität ausfallen, ist leicht auszumalen, in welches Chaos wir unvorbereitet stürzen können. Die Sonnenstürme der letzten 150 Jahre lassen erahnen, welche Folgen der Durchzug einer Plasmawolke auf Technik und Gesellschaft haben wird. Ein Ereignis wie 1859 hat die moderne Zeit allerdings noch nicht einmal durchlebt.

Lesen Sie Genaueres zu den Auswirkungen auf Technologien

Nach oben

BASF
(Adobe Stock)

Nach oben

2025 wird eine hohe Sonnenaktivität erwartet

Sonne
(wikimedia commons)

Wir bewegen uns momentan auf das nächste Sonnenmaximum im Jahr 2025 zu, weshalb vermehrt mit moderaten und starken Sonnenstürmen gerechnet werden muss. Die Sonnenaktivität folgt Zyklen, denn das elektrisch geladene heiße Gas der Sonne bewegt sich und erzeugt dabei ein starkes Magnetfeld. Dieses kehrt sich etwa alle 11 Jahre vollständig um. Ob die Ereignisse 2025 so stark wie beim Carrington-Ereignis im Jahr 1859 sein werden oder moderate geomagnetische Stürme viele Anomalien bei den zahlreichen Raumfahrzeugen im erdnahen Weltraum verursachen, wissen wir nicht mit Sicherheit. Die letzten zwei Sonnenzyklen waren eher ruhig, was nicht bedeutet, dass der aktuelle Zyklus ähnlich ruhig verläuft. Wir müssen vorbereitet sein und verstehen, welche Folgen die extremen Ereignisse und die sehr starken Stürme, die oft im Weltraum beobachtet werden, haben werden, sagt Yuri Shprits, Leiter der Sektion Weltraumwetter und Weltraumphysik. 

Ereignisse wie der nicht beabsichtigte Wiedereintritt und das anschließende Verglühen der Starlink-Satelliten im Jahr 2022 kurz nach deren Start zeigen, dass sowohl die Technologie als auch das Fachpersonal nicht entsprechend auf eine derartig starke Sonnenaktivität vorbereitet sind. Am 3. Februar 2022 stürzten 40 der 49 von SpaceX ins All geschossenen Starlink-Satelliten wieder ab. 

ESA Space Weather Effects
(ESA)

Geomagnetischer Sturm

Was passiert physikalisch?

GFZ-Schwerpunktthema: Weltraumwetter

Bitte klicken Sie auf das Bild, um zu den Wissenschaftsseiten dieses Schwerpunktthemas zu gelangen!

Weitere Informationen folgen in Kürze!

Ihr GFZ-Kommunikationsteam, Stand 2.5.2024